Seien wir ehrlich. In jeder Familie gibt es jemanden, den man aus welchen Gründen auch immer nicht mag – und mit dem man nur schwer Frieden machen kann, auch wenn er schon längst tot ist. So geschehen mit meinem Opa. Lange Zeit konnte ich ihn nicht leiden. Er war mir zu streng und konnte richtig jähzornig werden. Ich erinnere mich an ein Loch im Fußboden der Küche unseres Bauernhauses am Kaiserstuhl, wo wir als Kinder wohnten. Das Loch kam von meinem Opa, der im Zorn eine Flasche Sprudel auf den Boden geschmissen hatte. Das Loch war noch Jahre später deutlich sichtbar.
Das Verhältnis zu meinem Opa änderte sich erst, als mein Vater mir die folgenden Geschichten erzählte:
Mein Opa muss in der Kriegszeit sehr findig gewesen sein, um sich mit dem wenigen zu behelfen, was er hatte. Damit die Nazis ihm nicht auch noch seine Hühner klauten, legte er sie in einen Sack und brachte sie zu einer Rebhütte weiter weg vom Bauernhof. Als Feldhüter verdiente er sich zusätzlich etwas Geld. Ich konnte mir unter diesem Beruf nie richtig etwas vorstellen und fragte bei meinem Vater nach. Während des Krieges kamen viele aus Freiburg aufs Land, weil sie noch weniger zu essen hatten als die Bauern. Damit die Städter nicht auch noch die Früchte und das Gemüse auf dem Land klauten, gab es Feldhüter, die auf das Land aufpassten. Das war nicht ganz ungefährlich, und mein Opa musste aufpassen, dass er nicht angegriffen wurde.
Als mein Opa ein Junge war, hat er sich auf folgende Weise etwas Geld dazu verdient: Wenn ein Bauer seinen Kredit nicht bezahlen konnte, den er sich bei einem jüdischen Geldverleiher im Nachbardorf geholt hatte, musste er von seinem Besitz etwas abgeben, entweder ein Stück Land oder z. B. seine Kuh. Die Kuh verkaufte der Verleiher dann an einen Bauern in einem anderen Dorf. Bis es soweit war, musste die Kuh ja irgendwo stehen. Der Vater meines Opas erklärte sich bereit, die Kuh in seinem Stall zeitweise unterzubringen. Wenn dann der Verkauf der Kuh zustande kam, nahm mein Opa die Kuh an die Hand und lief mit ihr zu Fuß kilometerweit bis zum Dorf des Bauern, der die Kuh kaufen wollte. Das waren manchmal bis zu 20 km eine Strecke. Wie mein Opa das mit einer störrischen Kuh geschafft hat, ist mir ein Rätsel.
Es gibt aber noch eine andere Episode, die bewirkte, dass ich endlich auch die positiven Seiten meines Opas sehen konnte und das, was er mir mitgegeben hat. Als ich noch zur Grundschule ging, gab es einen Klassenkameraden, der ein großes Mundwerk hatte. Ich traute ihm nicht. Eines Tages ärgerte er mich so sehr, dass ich zu meinem Opa ging und mich bitterlich bei ihm beklagte. Mein Opa fackelte nicht lange, nahm einen Stock und ging mit mir zur Grundschule, gleich neben dem Gefrierhaus der Gemeinde. Damals gab es noch keine Kühlschränke, und so brachten die einzelnen Familien ihr Gemüse oder was auch immer sie eingefrieren wollten zum Gefrierhaus. An der Ecke dieses Hauses trafen wir den Jungen. Mein Opa fuchtelte mit dem Stock herum und sagte nichts – der Junge schaute ihn an und hat mich danach nie mehr wieder geärgert. Das halte ich meinem Opa hoch zugute. Es ist nämlich so, dass ich mich nicht gut wehren kann, was ich als Kind nicht wusste. In meinem Horoskop steht der Mars im 12. Haus, und das auch noch im Zeichen Krebs. Da kann man leicht aus dem Hinterhalt angegriffen oder Opfer von Intrigen werden – wenn der Mars unerlöst ist. Das ist in meinem Leben auch mehrmals passiert, sogar ganz physisch, als beim Spazierengehen in der Dämmerungszeit plötzlich aus der Hecke ein Mann auftauchte und mich und eine Holländerin bedrohte. Was tun, wenn man sich nicht so gut wehren kann, wenn im Hintergrund andere schlecht über einen reden, sich etwas Übles zusammenbraut und man angegriffen wird? Sich direkt zu wehren, ist da oft nicht möglich. Man muss sich Hilfe holen. Mein Opa hat mir geholfen. Er gab mir das Gefühl, dass da jemand da ist, der mich beschützt und an meiner Seite steht, wenn ich in Gefahr bin. Das gibt mir Kraft – und Frieden.
Ich will diesen Artikel nicht schließen, ohne dass ich darüber rede, wie es mir heute mit Mars im 12. Haus geht. Mittlerweile ist das mit den Angriffen deutlich besser geworden. Ich weiß, dass die direkte Konfrontation nichts bringt. Besser ich gehe missgünstigen Leuten aus dem Weg und lasse sie einfach machen. Ändern kann ich sie sowieso nicht. Sie sind mir egal. Und damit gebe ich ihnen keinen Angriffspunkt. Das ist aber noch nicht alles. Auch wenn man mit Mars in Haus 12 Schwierigkeiten hat, seine Aggressionen auszudrücken, so bedeutet dies auch ein Potenzial, nämlich aus dem Unbewussten (= 12. Haus) Kraft (= Mars) zu schöpfen, verdrängte Energien bei sich und den anderen (also die Leichen im Keller) aufzudecken und zu erlösen. Und das ist doch ein wertvolles Talent, oder?
Letztes Update: August 28, 2021 / 20:30 Uhr